Naturfreunde Radolfzell e.V.

Über die Naturfreunde Radolfzell


Frieden und Wohlfahrt allen Menschen auf Erden, die arbeiten und guten Willens sind. Wir Naturfreunde wollen Naturfreund sein und bleiben. Mit Liebe in den Herzen wollen wir hoffen auf die Zeit, wo alle Menschen Menschen werden. Berg frei und Mensch frei

So hieß es im Gründungsausruf der Naturfreunde 1895 in Wien. Ein herausragendes Ziel der Gründungsväter war es, die Arbeiter und ihre Familien trotz ihrer knapp bemessenen Freizeit und ihren beschränkten finanziellen Möglichkeiten aus den Industriestädten hinaus in die Natur zu führen. Doch was waren es für Männer, die den Touristenverein "Die Naturfreunde" gründeten?

Karl Renner, ein Student, späterer Bundespräsident von Österreich, Georg Schmiedl, ein sozialistischer Lehrer und Freidenker und Alois Rohrauer, ein Handwerker, fanden sich 1895 aufgrund einer Anzeige in der Wiener "Arbeiterzeitung" zusammen, um eine touristische Neigungsgruppe innerhalb der sozialdemokratischen Partei zu gründen. Wenig später wurde aus diesem losen Zusammenschluss ein ständiger Verein gebildet. Dieser Verein sollte neben die alpinen Vereine des Bürgertums treten und durch geringe Mitgliedsbeiträge dem Arbeiter die organisierte Teilnahme am Bergsport möglich machen.

Die Wurzeln der aktuellen Umweltproblematik reichen zurück in die Zeit der industriellen Revolution. Dieser Problematik bewusst, begleiten die Naturfreunde seit ihrer Gründung die Entwicklung und Zunahme der Umweltzerstörung mit kritischem Blick.

Weg vom Kartenspiel in den Wirtshäusern, hinaus in die Natur

Mir dieser Devise konnte die Naturfreundebewegung in den ersten Jahren tausende Mitglieder gewinnen. Der Touristenverein war jedoch von Anfang an mehr als eine Wanderbewegung. Neben verschiedenen Selbsthilfeeinrichtungen wie z.B. Konsumvereine, wurde auf Fortbildungsmöglichkeiten für Arbeiter und ihre Familien großer Wert gelegt. In verschiedenen Fachgruppen konnten so viele Arbeitnehmer, denen der Zugang zu weiterführenden Schulenverwehrt wurde, ihre Talente, gerade in naturwissenschaftlichen Bereichen, entdecken und fördern. Nach der Jahrhundertwende wurden die ersten Ortsgruppen ausserhalb Österreichs gegründet. In München bildete sich 1905 die erste Ortsgruppe in Deutschland.

Jedes Haus, das neu entsteht, ist ein Stück Klassenkampf

Mit diesem Leitspruch wurde auch der Aufbau eines eigenen Häuserwerks forciert. Auch wenn der Naturfreundebewegung noch heute das Image des Häuslebauer-Vereins anhaftet, so muß doch der geschichtliche Hintergrund berücksichtigt werden. Bereits 1897 wurde eine Baugruppe gegründet, die durch Spenden, Beiträge und Eigenleistungen Wegerschließung und Häuserbau ermöglichen sollte.

So konnte 1907 das erste Naturfreundehaus auf dem Padasterjoch eröffnet werden. Trotz arger Finanzschwierigkeiten wurde der Häuserbau energisch forciert, da kaum günstige Übernachtungsmöglichkeiten für Arbeiter zur Verfügung standen und der Deutsch-Österreichische Alpenverein (DÖAV) proletarischen Wanderern ausgesprochen ablehnend gegenüberstand. Nachdem der DÖAV darüberhinaus einen "Arier"Paragraphen beschloss, war dies ein weiterer Anstoß, den proletarischen Wanderer unabhängig zu machen. So konnten bis zum 1. Weltkrieg 30 Häsuer fertiggestellt werden. Die Naturfreundebewegungwar und ist mir ihrer Vielzahl von Strömungen auch mit anderen Bereichen der Gesellschaft verbunden. Die Naturfreunde sind von Anfang an als touristische Gruppe gebildet worden. Dieser Gesichtspunkt alleine betrachtet würde aber vergessen machen, dass die Naturfreunde ganz eng mit der Arbeiterbewegung zusammenhängen und sie sich mit ihren Aktivitäten in erster Linie auf die Bedürfnisse von Arbeitnehmern beziehen. Darüberhinaus waren und sind die Naturfreunde Teil einer Arbeiterkulturbewegung, die im Verhältnis zur Natur den wichtigen Aspekt der Kultur aufgreifen und so dieses Verhältnis weiterentwickeln.

In Österreich und in Deutschland steigen bis zum ersten Weltkrieg die Mitgliederzahlen auf jeweils 10.000. Diese Entwicklung ist um so beachtlicher, da es Freizeit in größerem Umfang nicht gab, die Arbeitszeit von Montag bis Samstag 12 - 16 Stunden betrug und die Arbeit durch die Ausläufer der Sozialisten Gesetze von Bismarck zusätzlich behindert wurde. Die zahlreichen Kultur- und Bildungsveranstaltungen waren von einem lebensreformerischen Geist voller naturromantischer und idealistischer Illusion getragen.

Von Anfang an waren die Naturfreunde eine Familien-Selbsthilfeorganisation für die gesamten Freizeitinteressen. Sie unternahmen Wochenendausflüge und engagierten sich für Fahrpreisermäßigungen, ein freies Wegerecht und den öffentlichen Zugang zu den Erholungsgebieten. Hierin begründet sich auch der Gruß "Berg frei".

Kinderlager und Wochenendbetreuungen, Kinderwanderungen und Jugendgruppenarbeit sollten die von den Arbeitereltern nicht leistbare Aufgabe einer umfassenden Erziehung und Bildung erfüllen.

Doch wie fing es in Radolfzell mit den Naturfreunden an?

Wilhelm Leingruber, Joseph Öxle, Gustav Schiller sind nur einige von den Männern und Frauen, die sich im April 1922 im Gasthaus Schwert trafen um auch für die Radolfzeller Arbeiter eine sinnvolle Freizeitgestaltung zu ermöglichen. Zum großen Teil waren auch sie Arbeiter und haben somit erkannt, dass sie, die im Alpenverein damals nicht akzeptiert waren, bei den Naturfreunden nicht nur wandern konnten, sondern sich in Gesprächen und Vorträgen weiterbilden konnten. So mancher von ihnen war ein kleiner Naturwissenschaftler, der z.B. über die geologischen Veränderungen der Bodenseeregion im Laufe der verschiedneen Eiszeiten mehr Kenntnis besaß, als so mancher studierte Geologe. Über diese Freizeitinteressen hinaus entwickelten sich die Radolfzeller Naturfreunde zu einer Selbsthilfeorganisation, was sich z.B. in der Mitgliedschaft im Konsumverein Konstanz verdeutlichte.

Die Naturfreunde hatten von jeher den Anspruch und das Streben nach Toleranz, Meinungsvielfalt, Solidarität und Internationalismus, so dass sie Ende der 20er Jahre und Anfang der 30er Jahre von den antidemokratischen Kräften, die in dieser Zeit in der Weimarer Republik die Oberhand gewannen, behindert wurden. Für Deutsch-Nationale und Nazis waren die Naturfreunde, wie alle anderen Teile der sozialistischen Arbeiterbewegung, "Vaterlandslose Gesellen". Mit dem Sieg des Faschismus, dem Verbot von KPD, SPD und Gewerkschaften wurde auch allen Natrufreundegruppen die Aktivitäten untersagt. Mit der Auflösung des Arbeiter-Sportkartells wurden auch die Radolfzeller Naturfreunde verboten. Nicht wenige waren der Hetzjagd durch die Nazis ausgesetzt und verbrachten so viele Jahre im aktiven Widerstand. Durch ihr Weltbild konnten und wollten sich viele von ihnen nicht in die private Nische zurückziehen. Begünstigt durch die Grenznähe formierte sich in der Bodenseeregion eine Opposition gegen Hitlerdeutschland, an der auch Naturfreunde beteiligt waren. An dieser Stelle ist vor allem Heinrich Weber zu nennen, der als Fluchthelfer von Markelfingen aus seinen Teil zum antifaschistischen Kampf beigetragen hat. Im Rahmen der Aktion "Gitter", die durch eine große Verhaftungswelle im August 1944 gekennzeichent war, wurde auch Heinrich Weber von der Gestapo verschleppt und starb am 25. September 1944 im KZ in Mauthausen. Dieses Schicksal war kein Einzelfall und so spielte die Einstellung der Naturfreunde gegen das NS-Regime auch nach dem "1000 jährigen Reich", welches nur 12 Jahre dauerte, eine wesentliche Rolle.

Den wiedergründungen der verschiedenen Naturfreundegruppen waren die jeweils zuständigen Militärregierungen sehr positiv gesonnen, und so konnten die badischen Naturfreunde schon 1945 ihre Gründungsversammlung abhalten.

Am 24. August 1945 wurde die Ortsgruppe Radolfzell wiedergegründet. Gustav Schiller, Ernst Troll und Wendelin Praster nahmen die Geschicke des Vereines als Männer der ersten Stunde in ihre Hände. Schon bald nach der Wiedergründung wurde der Wunsch nach einem eigenen Naturfreundehaus wach. Trotzdem vergingen nohc über acht Jahre bis dieses Vorhaben verwirklicht werden konnte.

Am 19.05.1955 konnten im Rahmen einer Feierstunde die Schlüssel des Hauses an Jugendleiter Egbert Hanser übergeben werden. Als ein Haus der Jugend, junger Familien und der Begegnung konnte die Einrichtung seither genutzt werden.

Die Radolfzeller Ortsgruppe nahm dank aktiver Mitglieder eine positive Entwicklung. Durch ihr ehrenamtliches Engagement haben viele Persönlichkeiten die Geschicke des Vereins gelenkt und ihm Profil verliehen.

Heute sind die Naturfreunde ein internationaler Verband, der in allen Ländern Europas zu Hause ist. Die Aktivitäten der einzelnen Landesverbände und Ortsgruppen sind weit gestreut. Vom Wandern über das Fotografieren bis Esperanto reichen die Aktivitäten. Darüberhinaus dürfen wir Naturfreunde auch unsere gesellschaftspolitische Verantwortung nicht vergessen. Mit unseren Aktivitäten in der Friedensbewegung zu beginn der achtziger Jahre, in deren Zusammenhang 1987 auch das Radolfzeller Naturfreundehaus zur "Atomwaffenfreien Zone" erklärt wurde und unserer Präsenz in der Umweltbewegung, sind wir Naturfreunde gerade auch heute aufgefordert, Positionen zu gesellschaftlichen Entwicklungen zu erarbeiten und klar Stellung zu beziehen. Als Verband für Umwelt, Touristik und Kultur nehem ndie Naturfreunde bei der Entwicklung und Umsetzung eines sanften Tourismus gegenüner anderen Freizeit- bzw. Umweltorganisationen eine Vorreiterrolle ein. Durch die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen, jungen Familien und Senioren sind die Naturfreunde aber auch Sprachrohr und Anwalt der Schwachen in unserer Gesellschaft, so dass wir auch unsere Augen nicht vor dem neu aufkommenden Rechtsradikalismus verschließen dürfen.

Der Gründungsausruf der Naturfreunde "Frieden und Wohlfart allen Menschen auf Erden..." kennzeichnet die Tradition unseres Verbandes, aber auch gleichzeitig Arbeitsauftrag und Verpflichtung für unsere Zukunft.

Berg frei

 

(Text: Markus Zähringer)